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12.10.2021
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Interview: Härte alleine ist für den Verschleißschutz nicht entscheidend.

Technologie
Zylinder
Auf welche Parameter kommt es beim Verschleißschutz eigentlich an? Ein Interview mit Anna Rottstegge, der Leiterin Forschung & Entwicklung bei Reifenhäuser Reiloy.

Frau Dr. Rottstegge, wie ist Reiloy auf die Idee gekommen, sich speziell mit dem Thema Härte bei Zylinderverschleißschutz zu beschäftigen?

Der zentrale Ausgangspunkt für unsere Untersuchungen waren interessante gegensätzliche Rückmeldungen unserer Kunden. Einerseits sehen sie, dass die Härte der Legierung in den Datenblättern aller Hersteller gleich oder ganz ähnlich angegebenen wird. Und gehen deshalb davon aus, dass sie das entscheidende Kriterium für die Leistungsfähigkeit eines Verschleißschutzes ist. Andererseits stellen wir im Feld immer wieder fest, dass die Lebensdauer unserer Zylinder nachweisbar länger ist. Was ja eigentlich nicht sein könnte, wenn sie nur von der Härte der Legierung abhängen würde, die bei allen Anbietern wie gesagt nahezu gleich ist. Als Werkstoffwissenschaftlerin habe ich gelernt, dass der Verschleißschutz nicht nur von der Härte abhängt. Das war mein Ansporn, den Ursachen näher auf den Grund zu gehen. Deshalb haben wir uns in der Abteilung Forschung und Entwicklung die Gefügestrukturen genauer angeschaut und eigene Verschleißuntersuchungen durchgeführt.

Wo haben Sie bei Ihrer Ursachenforschung angesetzt?

Zunächst bei den Nickelbasis-Legierungen. Hier setzen alle Anbieter die hochharten Wolfram-Monocarbide ein. Deshalb haben wir an diesem Punkt angesetzt und sind jeder Spur auf den Grund gegangen. Wir haben intensive Vergleichsanalysen an verschiedensten Bauteilen durchgeführt, uns die Legierungszusammensetzungen ganz genau angeschaut, die Mikrohärte der einzelnen Phasen getestet, mit einer optischen Analyse die Flächenbelegungen evaluiert und darüber dann eine optische Analyse der Größenverteilung durchgeführt.

Dr. Anna Rottstegge hat 2017 an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und ist seit 2019 Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung bei Reifenhäuser Reiloy Extrusion Systems.

Das hört sich nach einer Menge Aufwand an. Hat das Ergebnis ihn gerechtfertigt?

Auf jeden Fall. Weil wir so eindeutig nachweisen konnten, dass es Abweichungen in Matrixzusammensetzung und Volumengehalt an Carbiden gibt. Unsere Annahme war, dass die längere Lebensdauer mit einer höheren Carbiddichte einhergeht. Aber schnell zeigte sich, dass die Carbiddichte nur bei wenigen Marktbegleitern niedriger ist als bei uns. Der größte Unterschied unserer Nickelbasis-Legierungen im Vergleich zu anderen Herstellern liegt tatsächlich in der Carbidgrößenverteilung. Oder anders gesagt: Die größere Leistungsfähigkeit unseres Verschleißschutzes kommt nicht nur aus der höheren Dichte seiner Carbide. Es ist tatsächlich ihre Größe, die den zusätzlichen Vorteil ausmacht. Wir konnten sogar nachweisen, dass sie zehnmal größer sind als die Carbide aller anderen Nickelbasis-Legierungen im Markt. Aber natürlich gibt es im Wettbewerb auch Fälle, in denen eine geringere Carbiddichte, eine ungünstige Verteilung oder eine höhere Porosität die Lebensdauer negativ beeinflussen.

Hat Sie das überrascht?

Ja und Nein. Es war schon eine bewusste Entscheidung bei Reifenhäuser Reiloy, größere Carbide zu wählen, um dem grob abrasiven Verschleiß im Zylinder gezielt entgegenzuwirken. Dabei werden die Carbide selbst nicht von den abrasiven Stoffen angegriffen, sondern sind einfach im Weg – die großen mehr, die kleinen weniger. Sie müssen sich das wie Steine in einem Acker vorstellen, den sie pflügen wollen: Kleinere Steine lassen sich einfach vom Pflug zur Seite schieben. Größere stellen ein deutliches Hindernis dar. Genauso stellen sich größere Carbide den abrasiven Kräften in den Weg und leisten deutlich mehr Widerstand als kleinere. Um das auch auf wissenschaftlicher Basis nachzuweisen, haben wir uns Legierungen mit kleineren Carbiden besorgt oder nachgestellt und damit Verschleißtests sowohl im Labor als auch im realen Einsatz durchgeführt. Und vom Grad der positiven Auswertung im Vergleich mit unseren eigenen Legierungen waren wir dann doch selbst überrascht. Damit bestätigt sich, was man auch schon im Studium der Werkstoffwissenschaften lernt: dass der Verschleißschutz nicht nur von der Makrohärte abhängt, sondern vom gesamten Gefüge.

Weshalb setzen nicht auch andere Anbieter in ihren Nickelbasis-Legierungen auf größere Carbide?

Vielleicht, weil der gesamte Herstellprozess, mit dem sich zum Beispiel die gewünschte Oberflächengüte und die geforderten Durchmessertoleranzen erreichen lassen, bei großen Carbiden besonders schwierig und aufwendig ist. Wir haben uns wegen des Nutzwerts für den Einsatz großer Carbide entschieden und dann den Herstellprozess darauf optimiert. Hier haben wir den großen Vorteil, dass wir zum Beispiel die Oberflächenbearbeitung der Verschleißschutzschicht (Honen) exakt auf die Anforderungen abstimmen konnten, weil wir die Werkzeuge selbst entwickeln und herstellen. Auch das ist ein Kernprozess der Reifenhäuser Reiloy!

Bis jetzt haben wir von den Nickelbasis-Legierungen gesprochen. Wie sieht es mit der Härte als Vergleichsgröße im eisenbasierten Bereich aus?

Da ist es ganz ähnlich. Auch hier haben wir uns gefragt, warum unsere Eisenbasis-Legierungen bei gleich Härte nachweisbar längere Zylinderlebenszeiten ermöglichen. Und dann in genauen Mikrostrukturanalysen, EDX-Analysen der chemischen Zusammensetzung und vor allem in Mikrohärtemessungen herausgearbeitet, dass es an der fast schon keramischen Schicht liegt, die andere Legierungen nicht haben.

Können Sie das etwas näher erläutern?

Es handelt sich hier um keramische Phasen in Verbindung mit Bor und Kohlenstoff – vor allem auf Chrom-Basis –, die sich während des Gussprozesses aus der Schmelze bilden. Dabei zielt unser Konzept darauf ab, einen Schutzschild aus keramischen Phasen aufzubauen. Diese Phasen sind noch in einer Metallmatrix eingebunden, belegen aber ein großes Volumen. Das heißt, die Schicht besitzt eine hohe Härte aber noch ausreichend Elastizität. Darauf ist der gesamte Prozess ausgerichtet. Damit genau die keramischen Phasen entstehen, die wir haben wollen, müssen Zusammensetzung, Prozesstemperaturen und -zeiten exakt eingehalten werden. Das Prozessfenster ist sehr schmal und muss genau kontrolliert werden. Dafür, dass wir es immer zuverlässig treffen, sorgt das spezielle Reiloy Schleuderverfahren, das wir optimal darauf angepasst haben und auf eigens entwickelten Maschinen durchführen.

Sehen Sie sich hier das Video-Interview mit Dr. Anna Rottstegge an

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